„Mächtige Kräfte verhindern Reformen“

Von Redaktion · · 2009/11

Seit den umstrittenen Wahlen im Mai kommt der Iran nicht zur Ruhe. Der offizielle Wahlsieger Mahmud Ahmadinejad hat sich mit Repression durchgesetzt. Trotzdem ist der iranisch-deutsche Publizist Bahman Nirumand optimistisch, dass sich die Oppositionsbewegung durchsetzen wird. Das Gespräch führte Ralf Leonhard.

Südwind: Werden wir noch einen demokratischen Iran erleben?
Bahman Nirumand:
Das wird sich in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden. Kurzfristig wird es keine Systemveränderung geben, aber eine gewisse Liberalisierung des Systems. Oder es wird noch härter werden und der herrschenden Fraktion gelingt es, sich durch Gewalt an der Macht zu halten.

Man spricht viel von Machtkämpfen im hohen Klerus.
Es gibt viele Differenzen. Das beginnt mit der Gründung der Islamischen Republik. Der Name des Staates ist ein Widerspruch in sich: Ein islamischer Staat empfängt seine Anweisungen von Gott und dem Koran, eine Republik gehorcht dem Willen des Volkes. Dieser Widerspruch kommt in der gesamten Verfassung zum Ausdruck. Es gibt Organe, die vom Volk gewählt werden, wie Parlament und Staatspräsident, aber andere Organe, die noch mehr Macht haben, werden ernannt. Der Revolutionsführer ist mit fast unbegrenzter Macht ausgestattet, der Wächterrat entscheidet über jedes Gesetz, kontrolliert die Wahlen und bestimmt, wer überhaupt kandidieren darf. Die Justiz untersteht einem Justizchef, der vom Revolutionsführer ernannt wird. Die Armee steht ebenso wie die Geheimdienste unter Befehl des Revolutionsführers.
Als die Reformer 2000-2004 die absolute Mehrheit im Parlament hatten und Khatami Staatspräsident war, konnte die Regierung kein einziges Reformgesetz durchbringen. Das scheiterte immer am Nein des Wächterrates.

Wo stecken die anderen Konflikte?
Die zweite Spaltung entstand, als Ayatollah Khomeini starb und der achtjährige Krieg gegen den Irak zu Ende war. Viele, die zuerst Khomeini unterstützt hatten, waren an der Front und fragten sich: Ist es das gewesen, was wir mit der Revolution wollten? Das hat zur Reformbewegung geführt. Viele von Khomeinis engsten Mitarbeitern erklärten, dass man die Islamische Republik nur retten könne, wenn man sie reformiert, und zwar zugunsten des republikanischen Teils. Geistliche machten Reformvorschläge, wie man den Islam an eine moderne Gesellschaft anpassen kann.

Dann wurde der Reformer Khatami zum Präsidenten gewählt.
Während der achtjährigen Ära Khatami erwies es sich, dass es mächtige Kräfte gibt, die Reformen verhindern. Das erste, was das Parlament damals mit einer absoluten Mehrheit der Reformer verabschieden wollte, war ein neues Pressegesetz. Auf Anordnung von Ayatollah Khamenei wurde der Antrag der Regierung einfach von der Tagesordnung genommen – ganz offiziell. Dieser Machtkampf im islamischen Lager war nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch: Es ging um Ressourcen, vor allem Öl. In der Khomeini-Zeit und unter Rafsanjani haben die so genannten religiösen Stiftungen davon profitiert. Sie sind zu mächtigen Finanzgiganten geworden. Ursprünglich wurden sie gegründet, um Armen oder Hinterbliebenen von Kriegsopfern zu helfen, sie haben dann sehr viel an wirtschaftlicher Macht gewinnen können. Leute wie Rafsanjani haben sich sehr bereichert.

Hat die Reformregierung also gar nichts bewirkt?
Doch, die Atmosphäre hat sich geändert. Durch die Auseinandersetzung in Parlament und in der Gesellschaft ist Vieles ans Tageslicht gekommen. Etwa die Attentate auf Oppositionelle, die Kettenmorde, Folterungen in Gefängnissen.

Kettenmorde?
Als Khatami die Regierung übernahm, haben Radikale angefangen, prominente Reformer, Schriftsteller, Journalisten umzubringen. Das haben sie reihenweise gemacht, daher die Bezeichnung. Khatami hat das aufgedeckt. Sogar der Geheimdienst und das Informationsministerium haben zugegeben, dass diese Morde in Auftrag gegeben wurden. Weiters wurden über 100 Zeitungen verboten, Verlage und Personen bedroht.
Dazu kam der Kampf mit dem Ausland. Khatami war sehr kompromissbereit. Er half den USA beim Angriff gegen Afghanistan und den Irak und lenkte im Atomkonflikt ein. Trotzdem hat Bush den Iran als Bestandteil der „Achse des Bösen“ bezeichnet. Das hat dazu geführt, dass Ahmadinejad und die Radikalen mit der Parole Wahlkampf machen konnten: „Khatami und seine Leute sind Weicheier. Man sieht, was herauskommt, wenn man Kompromisse eingeht“. Sein zweiter Punkt war Wohlstand für alle! Wäre der Westen auf die Kompromissvorschläge von Khatami eingegangen, wäre Ahmadinejad nie an die Macht gekommen.

Bahman Nirumand, 1936 in Teheran geboren, floh 1965 vor dem Schah-Regime ins Exil nach Deutschland. Er kehrte Ende der 1970er Jahre in den Iran zurück, wo er sich am wachsenden Widerstand gegen den Schah beteiligte. Dreieinhalb Jahre später musste er neuerlich flüchten, diesmal bedroht von Khomeinis Revolutionswächtern. Er lebt als Journalist und Autor zahlreicher Bücher zum Iran und dem Nahen Osten in Deutschland.

Bahman Nirumand kam Ende September 2009 auf Einladung des vidc nach Wien.


Es gibt aber noch andere Widersprüche?
Da ist der Generationenkonflikt. Ahmadinejad gehört der zweiten Generation nach Khomeini an. Die erste war die der Kampfgefährten, wie Rafsanjani. Die zweite hat die ganze Drecksarbeit gemacht, die Opposition liquidiert, Massenveranstaltungen organisiert, acht Jahre an der Front gekämpft. Der Krieg hat sie stark geprägt. Man brachte Opfer für den Islam und glaubte an die islamische Republik und Revolution. Sie sahen, wie die erste Generation ihre Taschen gefüllt und die Revolution verraten hatte.
Seit Ahmadinejad am Ruder ist, sind die Revolutionswächter zur Macht Nummer eins geworden: militärisch, weil sie viel moderner ausgerüstet sind als die reguläre Armee, und politisch, weil Ahmadinejad sofort nach seiner Amtsübernahme ihnen alle Schlüsselposten übergeben hat, egal ob die Leute qualifiziert waren oder nicht. Die meisten waren es nicht. 60 bis 70 Prozent seines ersten Kabinetts bestanden aus ehemaligen Revolutionswächtern, man spricht von der Militarisierung der Islamischen Republik. Ökonomisch sind die Revolutionswächter dank der Staatsaufträge, die Ahmadinejad ihnen zuschanzt, obenauf: Durch Öl, Bauaufträge und den lukrativen Schwarzmarkt sind sie so mächtig geworden, dass die religiösen Stiftungen ihre Interessen bedroht sehen.
Ahmadinejad will einen islamischen Staat – er spricht nie von der islamischen Republik – ohne den Klerus, zumindest ohne den etablierten Klerus. Daraus erklärt sich auch die Position der Großayatollahs nach den Wahlen. Viele haben protestiert, und bis auf zwei sind keine zur Vereidigung gekommen. Khamenei hat den großen Fehler gemacht, von Anfang an auf Ahmadinejad zu setzen, weil er eigentlich kein Ayatollah ist und in religiösen Kreisen keine Autorität hat.

Welche Rolle spielt jetzt die vierte Generation, die die Revolution gar nicht erlebt hat?
60 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. Die Jugend war früher voll auf Seiten des Regimes, Zehntausende sind freiwillig in den Krieg gezogen und haben sich geopfert. Inzwischen wollen sie nichts mehr vom Regime wissen. Es herrscht offiziell eine Arbeitslosigkeit von 28 Prozent unter Jugendlichen. Die haben keine Zukunftsaussichten. Sie wollen Spaß haben. Durch die modernen Kommunikationsmittel sind sie in ständiger Verbindung zur Außenwelt. Vor allem das Internet hat das umgekrempelt. Manche treten auch die Flucht nach innen an: Es gibt viele Drogenabhängige, ein sehr brisantes Problem. Aber durch die Demonstrationen jetzt sind viele mobilisiert worden. Dieser innere Widerstand ist umgeschlagen in aktive Teilnahme an der demokratischen Bewegung. Deswegen sieht man in den Bildern die Jugendlichen an vorderster Front. Sie haben nichts zu verlieren und scheinen entschlossen, nicht nachzugeben. Es wird ihnen immer bewusster, so wie bisher geht es nicht mehr.

Wer sind die Leute, die gegen den Wahlschwindel protestieren?
Eine sehr heterogene Masse. Es ist sehr klug, dass die alle sich jetzt auf die Parole geeinigt haben: Annullierung der Wahlen und Neuwahlen, und dass sie hinter Mussavi und Karrubi stehen. Sicherlich viele, vielleicht eine Mehrheit, will im Grunde ein anderes System. Aber sie wissen, dass das jetzt nicht zu erreichen ist und sie die Bewegung spalten würden. Die Leute rufen nicht: „Nieder mit der Islamischen Republik“ – es sind ja ehemalige Minister, Parlamentsabgeordnete, Leute mit wichtigsten Funktionen dabei. Die stehen plötzlich alle auf der anderen Seite. Der Staat kann sich nicht mehr auf eine dreißigjährige Kaderbildung stützten. Deswegen sitzen in den Schlüsselpositionen ahnungslose Leute, die die Wirtschaft zugrunde gerichtet haben. Der Iran führt 40 % seines Benzinbedarfs aus dem Ausland ein, weil das Land nicht in Raffinerien investiert hat.

Die Linke war früher im Iran sehr stark. Spielt sie noch eine Rolle?
Die sind natürlich noch im Land, die kommunistische Tudeh hat eine lange Tradition, auch die Volksfedayyin, aber als gesellschaftliche Kraft kann man sie nicht bezeichnen. Die Kader dieser Organisationen sind alle hingerichtet worden. Dieser Verlust kann in Jahrzehnten nicht ersetzt werden.

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